US-Astrophysiker modifizieren exotische Theorie über die vierte Raumdimension und wollen deren
Existenz mit einem Satelliten beweisen, der 2007 startet.
Multiversen, Parallelwelten, Wurmlöcher, Superstrings oder Zeitreisen; sich bis an die Grenze des
Undenkbaren denken - dies ist in der Kosmologie en vogue wie selten zuvor. Die Theorien, die
Astrophysiker und Kosmologen seit einigen Jahren verstärkt in die Diskussion einbringen, sind
bizarr wie faszinierend. Dies gilt im Besonderen für eine Hypothese, der zufolge es bereits ab 2007
möglich sein soll, mit Hilfe von Gammastrahlenausbrüchen extrem winzige Schwarze Löcher zu
lokalisieren, die sich um Pluto tummeln könnten. Zwei US-Astrophysiker sind davon überzeugt,
dass derlei Objekte im Sonnensystem mit einem neuen Satelliten nachgewiesen werden könnten.
Gelänge dies, wäre damit - so behaupten die beiden Forscher - der Beweis für das Vorhandensein
einer vierten Raumdimension erbracht. Wenn sich heutzutage jemand damit beschäftigt, was die
Welt "im Innersten zusammenhält", dann sind dies die Philosophen und unserer Tage: die
Astrophysiker und Kosmologen der Postmoderne. Schließlich sind sie es, die Theorien in die Welt
setzen, die nicht von dieser zu sein scheinen, aber dennoch dieselbige zu beschreiben und deren
Herkunft zu ergründen versuchen. Dabei verlassen sie gerne den Boden des Rationalen, schweben
in hohen Sphären und buhlen mit teils bizarr, teils abstrakt-mathematisch konstruierten Modellen
um ungeteilte Aufmerksamkeit - dies in der Regel sehr publikumswirksam.
Vier räumliche - eine zeitliche
Eine dieser faszinierenden Theorien, die jüngst den Wissens-Kosmos einiger Kosmologen
erschüttert, modifizierten die beiden US-Wissenschaftler Charles R. Keeton von der Rutgers
University in New Jersey (USA) und Arlie O. Petters von der Duke University in Durham (North
Carolina). Beide Forscher entwickelten ein mathematisches Modell, das Astronomen in die Lage
versetzen könnte, eine der neuen fünfdimensionalen Gravitationstheorien zu überprüfen, die mit
Einsteins Relativitätstheorie konkurrieren.
Der theoretische Entwurf von Keeton und Petters fußt auf einer relativ jungen Theorie, die in
Fachkreisen als "Randall-Sundrum braneworld gravity model" firmiert. Diese geht davon aus, dass
das sichtbare 3-D-Universum, in dem wir leben, ein Membran-Universum ist, das in ein größeres
eingebettet ist; ähnlich einer Meeresalge, die in einem Meer schwimmt. In diesem Kosmos, dem "Braneworld-Universum", existieren nicht nur drei räumliche Dimensionen und als vierte die Zeit,
so wie es die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) postuliert, sondern sage und schreibe fünf
Dimensionen: vier räumliche und als fünfte die Zeit (plus Raumzeit).
Wankt das Weltbild?
So weit, so gut - wäre da nicht das Problem, das Dasein einer zusätzlichen Raumdimension in
unserem Universum auch zu beweisen. Schließlich haben Astrophysiker in der Vergangenheit sich
schon des Öfteren zusätzlicher Dimensionen bedient, um ihren kosmologischen Entwürfen den
Hauch des Mysteriösen zu verleihen. Dieses Mal ist aber alles ganz anders, besteht doch nach
Ansicht Keetons und Petters erstmals eine echte Chance, die unbekannte vierte Raumdimension
und damit die Richtigkeit der "Braneworld-Theorie" nachzuweisen. Dazu bedarf es auf Anraten der
beiden Forscher nur zweier Zutaten: Man nehme das neu erstellte mathematische Modell und
kombiniere es mit gezielten astronomischen Observationen bestimmter kosmologischer Effekte.
Was dabei möglicherweise am Ende auch immer aufgetischt wird - nicht jedem Kosmologen dürfte
das "delikate" Gericht munden. Denn es könnte das gesamte Weltbild ins Wanken bringen:
"Es würde bestätigen, dass es eine vierte räumliche Dimension im Kosmos gibt, was eine
philosophische Veränderung in Bezug auf unser Verständnis für die natürliche Welt verursachen
würde", schreibt Arlie Petters in einem jüngst veröffentlichten Online-Artikel der Physical Review D.
Größe eines Atomkerns
Das ursprünglich von der Harvard-Physikerin Lisa Randall und Raman Sundrum von der Johns
Hopkins University in Baltimore (Maryland) entwickelte "Randall-Sundrum braneworld gravity model"
beinhaltet eine mathematische Beschreibung, die definiert, wie die Gravitation das Universum formt.
Anders als bei der ART sagt die "Braneworld-Theorie" voraus, dass nur wenige Sekunden nach
dem Urknall durch das Zusammenballen von Elementarteilchen kleine Schwarze Löcher entstanden
sind.
Während aber gemäß der ART diese uranfänglichen Schwarzen Löcher in einem vierdimensionalen
Universum im Zuge der Hawking-Strahlung inzwischen längst wieder verdampft sein sollten,
müssten hingegen die kleinsten davon im Brane-Modell bis heute überlebt haben. Klein ist hierbei fast schon eine glatte Übertreibung, da es sich bei den hypothetischen Gebilden um Schwarze
Löcher handelt, die zwar die Masse eines kleinen Asteroiden, dafür aber bestenfalls die Größe
eines Atomkerns haben. Astrophysiker vermuten, dass sie einen Teil der Dunklen Materie dieses
Universums stellen, also jener unbekannten unsichtbaren Energieform, aus der immerhin 23
Prozent des Universums bestehen.
Tausend Schwarze Löcher bei Pluto
Wie die Berechnungen und Extrapolationen der beiden Astrophysiker jedenfalls ergaben, sollten die
Astronomen zunächst einmal vor der eigenen planetaren Haustür kehren. "Als wir schätzten, wie
weit entfernt das nächste Braneworld-Schwarze-Loch von der Erde sein könnte, waren wir
überrascht, dass es in der Nähe des Orbits von Pluto liegen könnte", sagt Keeton. Und dies wäre
beileibe kein Einzelfall, wie Petters betont. "Selbst wenn die Braneworld-Schwarzen-Löcher in
unserem Teil der Galaxis ein Prozent der Dunklen Materie formen - und das ist eine vorsichtige
Annahme -, dann müssten mehrere Tausend davon in unserem Sonnensystem existieren."
Um die versteckte Dimension ausfindig zu machen, welche die Ausbildung von Schwarzen Mini
Löchern so gravierend begünstigt, müssen die Effekte beobachtet werden, die Braneworld-
Schwarze-Löcher auf die elektromagnetische Strahlung ausüben. Dazu gehört zunächst einmal das
Charakteristikum, dass Schwarze Löcher dieser Größenklasse die Struktur der Raumzeit völlig
anders verzerren als die riesenhaften Kollegen, sprich die stellaren oder supermassiven Schwarzen
Löcher. Infolge ihrer geringen Größe sind sie der Katalysator, durch den die fünfte Dimension für
die Forscher greifbar und begreifbar wird. Dieser Effekt manifestiert sich am stärksten darin, dass
die zusätzliche räumliche Dimension die Geschwindigkeit verändert, mit der ein Schwarzes Loch
strahlt. Die sich hieraus ergebene Konsequenz kann jeder Astronom observieren: Die Verdampfung
des jeweiligen Schwarzen Loches verlangsamt sich deutlich - die Schwarzen Löcher leben merklich
länger.
Gravitationslinseneffekt und GRBs
Der direkteste und schnellste Weg zur fünften Dimension, so der Vorschlag des Forscherduos,
sollte daher über die Analyse jener Strahlung folgen, welche von der Erde zur anderen Galaxien
"reist". Denn sobald die von der Erde ausgehende Strahlung in relativer Erdnähe ein kleines
Schwarzes Loch passiert, ereignet sich infolge der starken Schwerkraft des Schwarzen Loches
ein Gravitationslinseneffekt. Hierzu kommt es, wenn sich ein Stern, der sich in der Sichtlinie der
Erde und einem weit entfernten Hintergrundstern befindet, an diesem vorbeidriftet. Infolge dieser
Bewegung wird das Licht des Hintergrundsterns in charakteristischer Weise durch den
Gravitationslinseneffekt verstärkt. Für Keeton wäre dieser Effekt der Schlüssel zum Erfolg: "Ein
guter Platz, um nach solchen Gravitationslinseneffekten zu suchen, die von Braneworld-Schwarzen-
Löchern generiert werden, ist ein stellarer Gammastrahlenausbruch." Gammastrahlenausbrüche
(Gamma ray bursts/GRBs) zählen zu den leuchtkräftigsten und energiereichsten "Ereignissen" im
Universum. Sie sind eines der größten Geheimnisse der modernen Astronomie, da sie - scheinbar
aus dem Nichts kommend - das Universum für einige Sekunden mit kaum vorstellbarer Energie
durchfluten. Durchschnittlich zwei- bis dreimal pro Tag registrieren irdische Satelliten
Gammastrahlenblitze. Binnen weniger Sekunden emittieren diese ultimativen Energiequellen mehr
Energie, als unser Heimatstern in seinem ganzen Leben freizugeben vermag - und zwar
leuchtturmartig entlang zweier dünner Strahlen.
GLAST - der Hoffnungsträger
Die Forscher gehen nunmehr davon aus, dass sich an den winzigen Schwarzen Löchern die bei
Gammastrahlenausbrüchen freigesetzte Energie wie Wellen an einem Felsen brechen. Die dabei
entstehenden Interferenzen könnte das "Gamma-ray Large Area Space Telescope" (GLAST), das
im August 2007 in den Erdorbit gehievt werden soll, nachweisen. Die derzeit in der Erdumlaufbahn
operierenden Gammastrahlensatelliten sind bei weitem nicht sensibel genug, um die Theorie de
praxi zu testen bzw. die Fluktuationen der hochenergetischen Gammastrahlung halbwegs adäquat
zu messen. GLAST hingegen wäre in der Lage, die Periode des Lichts (die Zeit, in der das Licht
eine Wellenlänge zurücklegt) der flüchtigen Gammastrahlenausbrüche exakt zu registrieren.
Sobald die ersten Daten von GLAST vorliegen, können Astrophysiker das Interferenzmuster
untersuchen, welches das jeweilige Schwarze Mini-Loch infolge seiner Gravitation verursacht.
"Die Krümmung des Lichts durch das Schwarze Loch bringt das Energiespektrum durcheinander,
so dass in einigen Bereichen viele Photonen auftreten und in anderen sehr wenige", verdeutlicht
Keeton. "Sollten wir das erwartete Signal sehen, dann wäre die nahe liegende Erklärung die
Existenz winziger Schwarzer Löcher." Dies wäre aber erst der Anfang. Wie nämlich die beiden
Astrophysiker gegenüber dem Online-Fachmagazin "Space flight now" erklären, lassen sich
Indizien für das Vorhandensein einer kosmischen vierten Raumdimension in den Tiefen des Alls
en masse finden.
Hierzu Petters im Originalton: If the braneworld theory is correct, there should be many, many more braneworld black holes
throughout the universe, each carrying the signature of a fourth dimension of space.
Topografie des Terrors - Berlin. Übermalung medienwerkstatt006 / Markus Wintersberger Juli 2006