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KUNST = KAPITAL
Hat uns sein Werk noch etwas zu sagen?
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Josef Beuys. KUNST = KAPITAL. Installation Hamburger Bahnhof Berlin. 24. Januar 2006
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Heute vor zwanzig Jahren starb Joseph Beuys. Heute ist das Hessische Landesmuseum in
Darmstadt, das den einzigartigen, über sechs Räume verteilten und vom Künstler selbst über
viele Jahre gestalteten "Beuys-Block" beherbergt, geschlossen. Auf das Gesamtkunstwerk,
das so berühmte Arbeiten wie den "Fettstuhl" und die "Transsibirische Bahn" enthält und die
Herzkammer des OEuvres bildet, weist im Quartalsprogramm des Museums ein einziger Satz
in der Rubrik "Malerei und Skulptur 19. bis 21. Jahrhundert" hin: "Einen hohen Stellenwert nimmt
der weltweit umfangreichste Werkkomplex von Joseph Beuys ein, der Objekte von 1949 bis
1972 umfaßt." Nur ein weiteres Beispiel museumsbeamtlicher Ignoranz? Oder ein Indiz dafür,
daß die Werke von Beuys in der Kunstgeschichte angekommen sind, seine Ideen der Gegenwart
aber kaum mehr etwas zu sagen haben?
Unter seinem Geburtsjahr 1921 notierte Beuys in seinem "Lebenslauf - Werklauf":
"Kleve Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde". Eine seiner Installationen,
die bei ihrem Ankauf durch das Münchner Lenbachhaus 1979 für heftige Debatten sorgte,
weil sie zwei Leichenbahren aus der Pathologie, Fettkisten, Lampen, Werkzeuge und mit Gaze
verschlossene Weckgläser zu einem bedrückenden Ensemble vereint, das vom Tod als der
Verhärtung der Lebensenergie handelt, trägt den Titel: "Zeige deine Wunde". Einen anderen,
ganz mit Metallplatten ausgeschlagenen Raum nannte er "hinter dem Knochen wird gezählt /
Schmerzraum". Beuys, ein Schmerzensmann? Einer, der den Finger in die Wunden der
Gesellschaft legte?
Oder lächeln wir nicht längst über einen, für den Kunst und Leben nicht zu trennen waren, weil
Gestaltung und Ästhetik primäre Tätigkeiten des Menschen sind, für die er Verantwortung
übernehmen muss? Hat Beuys der Schamane, der Christus-Darsteller, der Kommunikator,
der Schelm und Politiker seine Schuldigkeit getan? Kann man den Klassiker bewahren, den
Unbequemen aber loswerden? Wie steht unsere Gegenwart zu anspruchsvollen Installationen
wie der "Honigpumpe am Arbeitsplatz", "Das Kapital" oder "Das Ende des zwanzigsten
Jahrhunderts"? Weiß sie noch etwas anzufangen mit all den Fonds aus Filz und Kupfer, den
Aggregaten, dem thermisch/plastischen Urmeter, den Wirtschaftswerten? Ist das nur noch
abgestellter Sperrmüll oder eben große Kunst, die man pflichtschuldig im Museum bewundert,
aber weder versteht noch liebt? Ist Beuys, den man Ende der siebziger Jahre als bedeutendsten
deutschen Künstler der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts feierte, mit der
Wiedervereinigung einfach Teil der Geschichte geworden? Oder klafft die Wunde Beuys noch?
Wahrscheinlich sagt es mehr über unsere blinde, vergessliche Gegenwart als über sein Werk,
wenn man dieses so mir nichts, dir nichts für erledigt hält und den fortschrittsversessenen
Kulturverwaltern die Formel leicht von den Lippen geht: Beuys ist gleich alte Bundesrepublik ist
gleich zu den Akten. Ein erweiterter Kunstbegriff? Nein, danke. Wir malen lieber.
Kunstmarktkonform, ergo erfolgreich. Darüber hinaus haben Kleindarsteller der Szene wie
Jonathan Meese und Christoph Schlingensief, die von Beuys so weit entfernt sind wie der
Andromeda-Nebel von Oberhausen, das deutsche Mythenkarussell auf den Jahrmarkt der
Eitelkeiten verfrachtet. Denn wo nichts mehr ernst gemeint ist außer der Gier nach Erfolg und
Zustimmung per Geldbörse, da produzieren eben die Quatsch-Köpfe der schicken, sauberen,
illustrativen, ordentlichen, vor allem aber nicht existentiellen Kunst ihre heiße Luft:
schlechte Bilder und mediale Emissionen. Wer sich solches Gebaren vor Augen führt, der wird unschwer erkennen können, weshalb ein Werk wie das von Beuys nur noch als totes Museumsgut
geduldet werden darf: In Zeiten, da der Kunstbegriff schrumpft, kann man einen, der auf dessen
Erweiterung beharrte, nicht brauchen.
Natürlich fehlt die provokative Frische seiner Auftritte, vermag sein Sprachwitz nicht mehr
auszugleichen, was seine oft eigensinnigen Transsubstantiationen dem Betrachter zumuten.
Vor allem aber hat sich seine Ästhetik des Schäbigen und Vergänglichen in einer Zeit überlebt,
die alles Existentielle und Utopische zugunsten eines eingeschränkten Begriffs des Geistigen
aufgegeben hat. So mußte eine Generation, die mit Internet und Gentechnik, mit der Dominanz
der Naturwissenschaft und mit der Ideologie aufgewachsen ist, Zukunft ließe sich zuallererst durch
technische Innovation gewinnen, ein Werk, das auf Schamanentum, Mystik und Romantik beruht,
fast zwangsläufig ausblenden, um in ihrer Fixierung auf eine weitgehend eindimensionale
Gegenwart nicht irritiert zu werden. So wirkt einstweilen skurril, bestenfalls noch interessant,
was doch auf eine "Schwellenlage des Denkens" zielte.
Schwerer aber wiegt: Es war Beuys, der aus der Zeit des Nationalsozialismus überkommene
Vorurteile gegenüber der modernen Kunst wieder hörbar gemacht hat, der all den Spott und Hohn
auf sich gezogen und - fast im Alleingang - einen unbefangenen Umgang nur der Kunst der
Gegenwart ermöglicht hat.
"Der Kulturbegriff ist das Wirtschaftsprinzip und umgekehrt", stellte er 1978 fest. Das ist aktueller
denn je, da Kultur innerhalb einer globalisierten Wirtschaftsordnung immer deutlicher zum
entscheidenden Faktor wird, wenn Uniformität verhindert und Identitäten bewahrt werden sollen.
Was nicht nur die Debatte über eine "Leitkultur" bezeugt. Wenn Beuys davon spricht, in dem
Moment, da jeder Mensch seine Arbeitskraft als das eigentliche Kapital begreife, werde die
Unterscheidung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber hinfällig, so wird dies von Unternehmen
bestätigt, die aus Arbeitern Kleinselbständige machen möchten, um Kosten abzuwälzen.
Nicht erledigt hat sich auch seine Erweiterung des Energiebegriffs ("Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung") und seine Opposition gegen die Erstarrung des Lebens in der Verwaltung,
wie sie in der Aktion "7000 Eichen" für Kassel deutlich wurde, die den Untertitel "Stadtverwaldung
statt Stadtverwaltung" trägt. Von der ökologischen Frage ganz zu schweigen.
Beuys suchte und beschwor in vielen Aktionen und Installationen den Kontakt zum Übersinnlichen,
den er nicht abreißen lassen wollte, weil er überzeugt war, daß allein in einer an die Materie
gebundenen Spiritualität die Zukunft des Menschen zu gewinnen sei. Deshalb all die Hasen,
die sich in die Erde "inkarnieren", deshalb die Nachfolge der Menschwerdung Christi.
"Der materielle Teil der Welt darf in der Zukunft nur Kunstcharakter haben" lautet eine seiner
radikalen Forderungen, zu der auch die beständig mißverstandene Formel "Jeder Mensch ist ein
Künstler" gehört. Beuys ahnte die Erschöpfung. Den Verfall allein stellte er aber nie dar.
Er wollte sich einfach nicht abfinden mit dem Verlust eines Denkens, das über das bloß
Ökonomische hinausreicht. In der Krise, die durch eine verlorene Ganzheit heraufzieht, sah er
den Schlüssel zu allen zukünftigen Entwicklungen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu
wissen: Diese Krise ist keineswegs überwunden. Je mehr sie sich verschärft, je mehr Spiritualität
und Religiosität zurückkehren, desto nötiger wird eine Kunst sein, die keine platten Alternativen
bietet, sondern anschauliches Denken, das Natur und Technik, Kunst und Wissenschaft zu
versöhnen sucht. Noch aber gilt: "Der Freiraum der Kunst ist ein Kaninchenstall."
Zitiert nach: THOMAS WAGNER / Text: F.A.Z., 23.01.2006, Nr. 19 / Seite 31 |
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Josef Beuys. KUNST = KAPITAL. Installation Hamburger Bahnhof Berlin. 24. Januar 2006 |
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