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Gespräch I, Werner Schroeter und Eberhard Kloke
Düsseldorf Montechristo 22. Februar 2006
Das find ich überhaupt nicht komisch, ist auch folgendes...: das ist Robert Schumann!
WS: Also, Du kennst doch meine Theorie oder meine Idee zu dem Punkt, daß Maria Callas als
Künstlerin die Musik besiegt hat, und das heißt, sie hat eine neue Dimension erschaffen...
aber was ist Musik überhaupt?
EK: Das ist insofern eine Fangfrage, weil Du Musik durch das Medium Maria Callas definierst oder
die darin enthaltene "neue Dimension"... Jetzt müssen wir aber deutlich erst einmal einen Schritt
zurückgehen und da habe ich vorhin gesagt, für mich sei Musik sozusagen der Beginn jeglicher
Kommunikation.
WS: Das ist eigentlich ein Missverständnis... was ich sage: Callas hat die Musik besiegt, den
Gesang besiegt, mein` ich in dem Sinn, wie Hölderlin in Mnemnosyne III sagt: "Nur noch ein
Stottern, ein Wandersmann mit dem Andern, aber was ist dies...", also im Grunde genommen,
dass der ganze Pomp der Kunst abfällt und irgendwo ein anderer Inter-Raum entsteht, ein Inter-
Regium entsteht, das meint` ich nur: fertig!
EK: Ja, insofern reib` ich mich ja da auch gerne, weil Gesang bei der Callas ja nicht mehr nur
Gesang sondern purer Ausdruck ist...sonst hört man ja oft Technik, Akrobatik, Klang, bei ihr hört
man Ausdruck!
WS: Das heißt, sie ist der weibliche Orpheus...!
EK: Ja, das würde ich unterschreiben, ja! Es ist ja interessant, dass außer ihr im 20. Jahrhundert
eine vergleichbare Gestalt nicht festzumachen ist...
WS: Caruso!
EK: Da gibt’s zu wenig Zeugnisse, Aufnahmen, die das glaubwürdig-authentisch wiedergeben
können.
WS: Da hast Du Recht...Das mit der "Fangfrage" war ja wunderbar beantwortet.
Jetzt gehen wir noch mal auf den Punkt zurück: Was ist Musik? Kannst du das noch mal erklären?
EK: Na ja, Musik ist eine der Ur-Formen von Kommunikation, weil Musik vor der Sprache Ausdruck
festlegt, sowohl als gefühlsmäßigen Ausdruck als auch als ein Mittel zur Kommunikation. Insofern
ist der musikalische Ausdruck, das heißt der geformte Lebensäußerungsausdruck, eine der ersten
und nachhaltigsten.
Mit Musik lassen sich bestimmte Bereiche anstoßen, die jenseits der Sprache liegen...
WS: Ja, um noch einmal darauf zurückzukommen...das Aperçu ist auch sehr schön, weil das auch
hier mit unserer Arbeit zu tun hat...Das einzige Autogramm, was ich überhaupt habe, hat mir mal
Maria Callas gegeben und da steht drauf: Dove finiscono le parole incomincia la musica come a
detto il vostro grande poeta E.T.A. Hoffmann... Maria Meneghini Callas...
Wo die Worte aufhören, beginnt die Musik, wie Ihr großer Poet E.T.A. Hoffmann gesagt hat...
Das heißt, das ist eine rein sinnliche Geschichte...Musik?
EK: Ich würde sagen, das ist die eine extreme Form, dass man sagen kann: Wo die Worte
aufhören, da beginnt die Musik...man kann natürlich auch sagen: Da, wo die absolute Einheit von
Musik und Wort besteht, ist eine Art von Ausdruck erreicht, die wiederum die Urform des
Theatralischen benennt...also da, wo Wort und Musik zu einer Einheit geraten und das ist ja
nicht so oft der Fall, wenn wir die Musikgeschichte betrachten kommen wir sofort zum Phänomen
ORPHEUS. Orpheus mit seinen Tönen hat ja bestimmte Absichten: er will die Götter erweichen,
damit man ihn erhört... Das heißt, jenseits der Töne, gibt`s eine bestimmte message... Ja, und da
ist der Ausdruck am höchsten, wenn mit dieser Musik, mit diesem Ausdruck eine bestimmte
Aussage verbunden ist. Die ist mal rein sprachlich angelegt, mal als Affekt zu sehen, das ist mal
eine Geschichte, mal eine Beziehungsgeschichte, also unterschiedlichste Formen...
WS: Als gestern Julia Kamenik Schumanns "Stille Tränen" gesungen hatte...das einzige, was man
versteht in diesem halligen Raum, in dem wir probieren, ist "HERZ"..., nur dieses Wort versteht
man..in der schwimmenden Akustik...
Und dieses Wort "Herz" reicht im Zusammenhang mit der Art und Weise, wie sie es beseelt
vorträgt, völlig aus, um das ganze Thema ohne eine weitere Textverständnisebene zu haben,
zu begreifen...
Was Du gerade gesagt hast, fällt mir ein...in Arabella (Deutsche Oper Berlin) lachen die Leute,
wenn man den Text versteht. Die Musik umsülzt einen grausigen Text und wenn man auf einmal
Übertitel liest mit dem Text...
EK: Das Stück wird in deutscher Sprache gegeben und die Textverständlichkeit tendiert gen "0".
Und jetzt kommen die Übertitel und für die Leute passiert nun etwas Komisches: Da sie gewisse
Unvereinbarkeiten im Werk selbst wie auch in der divergierenden Spannung zischen Text und
Bühnenrealität bemerken, reagieren sie "amused".
WS: Ja wieso? Ich hab`s Dir doch oft immer gezeigt, Eberhard, "und Du sollst mein Gebieter
sein..."!
EK: ...während ich immer zu Ihnen, Herr Schroeter, sagte "Oh Mandryka.."!
WS: O Gott! oh Mandarina..
Also, ich hab mich immer gewehrt gegen Übertitel...Ich hab zum ersten Mal nachgegeben bei
unserem Schostakowitsch in Frankfurt: bei Lady Macbeth von Mzensk.
EK: Also ich find`s problematisch, wenn man nichts verstehen kann...Ich erinnere an unsere
Zusammenarbeit anlässlich der szenischen Realisierung von Missa Solemnis...Wenn der Chor
singt: "Et vitam venturi saeculum Amen...", alle rennen durchs Kornfeld, es geht um existenzielle
Dinge und das Publikum versteht nicht, dass es um eine Beschreibung und Ausdeutung des
"ewigen Lebens" geht, das ist schon schwierig...
WS: Ja, grausig..! Aber das sollte doch eigentlich im Volksgut erhalten sein, dass man die Messe
kennt..?
EK: Dann setzt Du sehr viel beim Volk voraus...!
Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele: Also beim CREDO hast du das so inszeniert, also im Sinne
Beethovens: credo in unum deum (Ich glaube an einen Gott), aber an was geglaubt wird
(..in spiritum sanctum, in unam sanctam catholicam, in remissionem peccatorum) bleibt immer
unverständlich, da es in den Wogen des Orchester-Fugatos resp. durch die Chorsprachaufteilungen
untergeht...Du hattest das jetzt so arrangiert, Chor und Soli so aufzusplitten, dass das "Credo"
immer nur als artikulierter Schrei wahrgenommen werden konnte, als Schrei des Individuums, dem
die Glaubensinhalte verloren gegangen sind: credo, an was, wird offen gelassen. Er hat das
szenisch unterstützt, was an Unverständlichkeit durch das WERK schon vorgegeben war...
Das fand ich sehr einleuchtend!
WS: Das ist wirklich ein Kompliment, da freue ich mich (lacht..)
Ja, à propos Beethoven, es ist sicherlich auch die Komplexität, wenn du Missa erwähnst oder die
späten Streichquartette oder oder... es ist sicher auch eine ganz konfliktuöse Auseinandersetzung
auf ganz vielen Schichten und Ebenen mit dem Ausdruck der Musik, wie Schumann auf seine
Weise auch, wobei Beethoven hat ja auch gekämpft um einen geeigneten Opern-Ausdruck, siehe
Fidelio, ist ja nicht gelungen und Genoveva von Schumann ist auch gruselig...
Der Kampf darum war ja ewig und endlos, immer wieder neue Fassungen..
EK: Der Kampf hat sich doch gelohnt, im Falle von Beethoven!
WS: Ja, aber bei der Genoveva eben nicht!
Das heißt, für mich ist Schumann, wenn er Lieder schreibt, in dem kleinen Kosmos, was er so mit
dem Klavier versieht, also mit soviel Farben usw. in dem kleinen Kosmos kommt er auf den Punkt
ganz schnell. Aber eine dramaturgische Großform ist glaube ich nicht vorhanden, außer in den
Sinfonien ist es eine musikdramaturgische Großform, die trägt...
aber Wortinhalt und gemeinter Inhalt über lange Strecken also über zweieinhalb Stunden zu
tragen war in Genoveva nicht der Fall..
Hingegen: Jedes Lied ist so gebündelt, "Sehnsucht oder "Stille Tränen", dass darin ein ganzer
Kosmos ist, aber in einer kurzen Strecke dargestellt und damit seine Vollendung findet..
hingegen die dramaturgische Großform lag ihm, glaube ich, nicht so sehr...Beethoven ja auch nicht,
er hat ja nur eine Oper gemacht...
das liegt wahrscheinlich daran, dass das Ziel bei Schumann viel kosmischer war,
viel weiter getragen, als einen logistischen Zusammenhang der Operndramaturgie herzustellen...
ich find es immer auf den Punkt gebracht, gerade bei "Lotusblume".
Es bleibt immer punktuell und die große Form im Sinne einer dramatischen Entwicklung liegt ihm
nicht.
EK: Deswegen hat Schumann ja auch die Miniaturform gepflegt. Nicht Beethoven ist der große
Liederkomponist, sondern eben Schumann! Weil Schumann die überschaubare Größe des
Gedichtes siehe Heine als instrumental-vokale Ausdrucksform brauchte, um diese Sache auf
den Punkt zu bringen. Bei Beethoven war das ganz anders... Beethoven suchte die
Auseinandersetzung mit der Großform. Seine Schauspielmusiken, seine Sinfonien, selbst seine
Oper, die erwähnten Streichquartette, die Klavierwerke...Ja die Keimzelle, die Urform der Sinfonie
auf dem Weg zum Musikdrama, also die NEUNTE, besteht in der Suche, diese Großform zu
bändigen und ihr eine Perspektive zu geben.
WS: Ja gut, dann bleibt uns Schumann erhalten als ein punktueller Mensch, das ist das Schöne
daran. Was bei den Liedern immer auffällt, die Nachspiele, er überlässt ja immer dem Klavier das
Ausgleiten aus der Komposition.
EK: Was mir immer aufgefallen ist, dass dem Klavier was die Ausdruckspalette anbelangt der
größere Part zukommt.
WS: Das ist ja interessant, das ist ja der Weg in eine Abstraktion der Stimme.
Beethoven hat man vorgeworfen, er würde die Stimme instrumental einsetzen, als Beispiel Fidelio
oder Missa Solemnis. Dabei, was ist die Stimme sonst als ein Instrument?
Ich finde, bei Beethoven füllt sich das sehr gut, die Stimme gewinnt tatsächlich ihre Oberhand und
trotzdem ist bei Schumann das Klavier als Klangelement die führende Natur,
die Stimme bewegt sich darüber...
EK: Nehmen wir doch mal den für Dich großen Zeitgenossen von Beethoven. nämlich Bellini, der
ja bekanntlich sehr viele Kantilenen geschrieben hat, der sehr viel für die Stimme geschrieben hat,
der dem Melos der Stimme nachgehört hat...all dies hat Beethoven überhaupt nicht interessiert.
Er war versessen auf Aussage, dem hatte sich die Stimme und eben stimmliche Möglichkeiten
einzufügen und unterzuordnen. Die Stimme dient Beethoven als Medium einer Aussage, das
macht ihn und die Sache so zwingend...
WS: Ich finde das bei Schumann ähnlich..
Wir lernen ja jetzt während unserer Arbeit Schumann im weiteren Umfeld kennen...
"Dichterliebe" usw. das sind Sachen, die mir überhaupt nicht gefallen, das ist für mich zu schlüssig,
zu gebunden in sich....vielmehr die Lieder, die ich erwähnt hatte, die haben diesen zersplitterten
Klang, die haben ein ganz anderes Weltbild. Ich sehe darin eben auch diesen Versuch, die Sprache
zu überwinden und auf den Punkt zu kommen mit dem Ausdruck..
EK: Welche Bedeutung hat den für Schumann die Poesie von Heine gehabt?
WS: Schumann hat ja bekanntlich nicht so viel Humor gehabt... Im Gegensatz zu Heine.. und ich
glaube das hat den Schumann sehr angezogen daran, diese Art von Konzision bei Heine..
er der Düstere, der andere...
EK: Kennst Du "Die beiden Grenadiere"?
WS: Natürlich!
EK: Das ist doch wahnsinnig ironisch komponiert von Schumann, der Umgang mit der Marseillaise
am Höhepunkt des Liedes, das ist doch wahnsinnig humorvoll bis sarkastisch..
WS: Ja, ja er hat den Humor von Heine sicherlich geliebt..
EK: Obwohl, er fand nun wirklich nichts lustig..
WS: Das find ich überhaupt nicht komisch, ist auch folgendes...: das ist Robert Schumann
(lachen beide) |
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